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Interview mit THOMY GUNN (23.09.2021)

THOMY GUNN

Die besten Geschichten schreibt das Leben, so behautet es wenigstens ein altes Sprichwort. Dass an diesem Spruch eine Menge dran ist, verdeutlicht allein die Entstehungsgeschichte dieses Interviews. Während in der Redaktion pro Woche etwa 300 bis 400 Promos aufschlagen, die nach einer Rezension schreien, kommt es mitunter auch vor, dass eine solche Werkschau den Redakteur auf verschlungenen Pfaden im Urlaub erreicht. Meistens werden solche Scheiben dann im Auto auf ausgedehnten Touren kurz „durchgeskipped“ und auf Tauglichkeit gecheckt, selten schafft es eine Scheibe durchzulaufen, noch seltener kommt es zu mehreren Durchläufen in Folge. 

Die Scheibe, die mir an meinem diesjährigen Urlaubsort zugesteckt wird, ist jedoch von vollständig anderem Kaliber. Schon die ersten Takte des Openers „Moroccan Sun“ fesseln mich derart, dass ich nicht umhin komme, das Teil einfach durchlaufen zu lassen. Hier gibt es Scales á la STEVE VAI, surrende Passagen, die JASON BECKER gut zu Gesicht stehen würden, sowie das filigrane Spiel eines jungen JOE SATRIANI, wobei all diese Einflüsse zu einer vollkommen eigenständigen Melange verschmolzen werden. „Den Typ muss ich kennenlernen“ sagt meine innere Stimme und so verabrede ich mich nach meiner Rückkehr mit THOMY GUNN zum Interview, in dessen Verlauf mir Thomy seine Geschichte, über seine musikalische Sprache, seine Träume, seinen Werdegang und seine Inspiration erzählt: die Geschichte über den Weg seines Lebens.

THOMY, vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst!

THOMY GUNN: Stefan, ich freue mich riesig, danke für die Einladung!

Thomy, du hast mir ja in der vergangenen Woche deine CD „Flight Over A Broken World“ zugesteckt. Das Teilchen hast du in Eigenregie, vom ersten bis zum letzten Ton, produziert. Wie kam es dazu?

THOMY GUNN: Das war damals die Zeit, als ich den Entschluss gefasst habe, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Ich wollte meine eigene Platte machen – einfach so (lacht). Ich hab´ mich dann schlau gemacht, was man dafür so alles an Equipment braucht, Ideen und Inspirationen hatte ich auch sofort. Das Ganze begann eigentlich an einem Abend, an dem ich mit meinem Bruder um die Häuser ziehen wollte. Daraus wurde nichts – ich hab´ meinem Bruder gesagt: „Fahr mich bitte sofort nach Hause“. Dort angekommen, habe ich dann innerhalb weniger Minuten „Moroccan Sun“ geschrieben und ab da lief alles wie von selbst.


 

Welchen Einfluss hatte dein Bruder auf dich?

THOMY GUNN: Einen unglaublich wichtigen! Ohne meinen Bruder wäre ich nicht der Mensch und Musiker, der ich heute bin. Mein Bruder Costa war derjenige, übrigens selbst ein toller Gitarrist und Gitarrenlehrer, der mir, als ich gerade vier Jahre alt war, das Gitarre spielen beigebracht hat. Der erste Song, den er mir gezeigt hat war AC/DCs „Dog Eat Dog“. Seit dieser Zeit war mir mein Weg klar. Damals hab´ nicht ich die Musik gewählt – die Musik hat mich gewählt. Mein Traum damals wie heute ist: einfach nur spielen! Mein Bruder hat mir gezeigt, worauf ich achten muss, worauf es beim Spielen ankommt. Er hat damals die Musik ganz anders gehört als ich, damals war ich noch zu jung, da habe ich noch nicht alle Facetten herausgehört. Costa hat mir auch eingetrichtert, wie wichtig die Basics sind, dass es wichtig ist, die Scales zu üben, auch 10 bis 12 Stunden pro Tag...das hab´ ich beherzigt. Manche Techniken verstehst du erst mit der Zeit, wenn du sie immer und immer wieder übst, er wusste das schon, ich habe es später erst wirklich verstanden. Wie gesagt: ohne Costa wäre ich heute nicht der Musiker, der ich jetzt bin.

Aber Technik ist bei weitem kein Selbstzweck. Wenn man „Flight Over A Broken World“ so anhört, merkt man, dass du dich durch deine Musik sehr akzentuiert ausdrücken kannst...

THOMY GUNN: So ist es. Musik ist für mich in erster Linie überhaupt nicht technisch, die Technik ist mehr eine Art Bonus, mit dem man zeigen kann, was auf dem Instrument alles möglich ist, wie kann ich ans Limit gehen. Das, um was es geht, ist das Gefühl, die Emotion, die man transportieren will – das ist das Wichtigste. Alles andere wird dann zur Nebensache. Gefühle spielen in meiner Musik die größte Rolle und alles, was ich komponiere, fängt mit einer Emotion an, nicht mit einer Tonleiter. Durch dieses Gefühl schreibe ich den ganzen Song. Musik ist für sich genommen eine Sprache und Musik ist meine eigentliche Muttersprache.


 

Der Titel des Albums „Flight Over A Broken World“ ist provokant und weckt ja schon durchaus zwiespältige Gefühle. Das könnte sich in ferner Zukunft abspielen, könnte allerdings auch in die heutige Zeit passen, da Teile der Welt in Trümmern liegen. Wie bist du auf den Albumtitel gekommen?

THOMY GUNN: Du hast Recht. Das Thema passt in die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft. Ich wollte die Hörer dazu anregen, sich die Welt einmal aus einer anderen Perspektive anzusehen, seine Perspektive zu ändern oder auch nur zu überdenken, sich zu überlegen, was es so auf der Welt gibt, wie das hier so alles funktioniert, mal den Blickwinkel ändern, die Welt auch mal von oben betrachten. Ich möchte hier auch eindeutig auf die vielen Probleme, die es in der Welt gibt, anspielen.

Welche Tracks der Platte sind dir besonders wichtig?

THOMY GUNN: Für mich ist der Song „A New Better World“ der Wichtigste. Wir alle hoffen ja auf eine bessere Zukunft, für uns und für alle Menschen. Ja, dieser Song ist für mich der Wichtigste. „A New Better World“ soll die Überleitung hin zu einer neuen, besseren Welt zeigen.

Siehst du für die Menschheit eine Perspektive hin zu einer besseren Welt?

THOMY GUNN: Ja sicher doch! Es gibt genügend Menschen auf dieser Welt, denen etwas an unserem Planeten und an den Mitmenschen liegt. Ich bin auf jeden Fall zuversichtlich, dass es irgendwann eine bessere Welt geben wird.

Thomy, wenn man Flight Over A Broken World“ durchhört, nimmt man einige Einflüsse wahr, Stichwort: STEVE VAI oder JASON BECKER. Hast du konkret musikalische Vorbilder, oder ist Vorbild ein zu großes Wort?

THOMY GUNN: Ich denke, dass Vorbild hier etwas zu hoch gegriffen ist, die Einflüsse sind natürlich vorhanden. Manchmal beeinflusst mich auch nicht unbedingt ein Musiker, sondern ein Film, ein Buch...so etwas fließt eigentlich stärker in meine Musik ein als andere Sachen. Ich höre mir nicht einen bestimmten Stil an mit dem Ziel: den muss ich unbedingt in meinen Song hereinbringen...ich lasse mich eher von anderen Dingen beeinflussen und versuche, Neues zu kreieren. Die Einflüsse, die du richtig gehört hast, kann und will ich natürlich auch nicht verleugnen, wobei ich auch die „alten“ Rocker wie KISS, AC/DC oder andere alte Sachen gern und oft höre.

 

Was machst du zur Zeit?

 

THOMY GUNN: Zur Zeit studiere ich in Wien an der JAM MUSIC LAB Gitarre. Jazz. Nach der Schule habe ich mir damals die Frage gestellt: Wie geht es jetzt weiter? Für mich gab es eigentlich immer nur den Plan: irgendwas mit Musik! Da ich auch immer gerne neue Leute kennenlerne, habe ich mir gedacht: Gitarre studieren wäre nicht verkehrt. Ich habe seit ich klein war, autodidaktisch gelernt, mittlerweile verstehe ich sogar, was ich da eigentlich spiele...(lacht). Jetzt, mit der Theorie im Gepäck, kann ich das Wissen auch anderen leichter vermitteln. Nebenbei arbeite ich nämlich als Gitarrenlehrer.

Gab es wegen Corona Einschränkungen?

THOMY GUNN: Ja. Im November wurden die Grenzen dichtgemacht und ich bin in letzter Minute aus Wien zurück nach Deutschland gekommen. Seit dieser Zeit gab es nur virtuelle Vorlesungen. Ich freue mich schon darauf, wenn es im Februar 2022 wieder face to face weitergeht...Musik hat viel mit Zusammensein zu tun, das geht vor dem PC verloren. In der Musik ist der Kontakt zu anderen Menschen das Allerwichtigste.

Du studiertst Jazz-Gitarre, kommst aber eigentlich mehr aus der Metal-Rock-Hard Rock- Ecke. Wo liegen deiner Meinung nach die größten Unterschiede?

THOMY GUNN: Der Jazz ist immer noch sehr stark beeinflusst von den legendären Musikern, die damals den bis heute gültigen Standard geprägt haben. Auch hinsichtlich der Kompositionen gibt es bis heute einen Standard, fast so eine Art Gesetz, an das man sich zu halten hat. Die Rockmusiker waren meiner Meinung nach etwas experimenteller unterwegs...da lehne ich mich jetzt mal aus dem Fenster und behaupte das...(lacht). Es ist halt Geschmackssache.

Du siehst dich aber schon mehr auf Seiten der Rocker, oder?

THOMY GUNN: Zu 100%, ja. Es ist für mich sehr faszinierend, die Theorie zu lernen, Sachen, die man einbauen kann. Die Rockschiene inspiriert mich allerdings weitaus mehr, da fühle ich mich zu Hause, daher komponiere ich auch in diesem Genre.

Kommen wir zu einem ganz anderen, sehr interessanten Thema. Vor einiger Zeit hattest du eine Einladung in die USA, um dort für eine nicht ganz unbekannte Band, ein paar Soli einzuspielen. Wie kam es dazu?

THOMY GUNN: Das war so: vor ein paar Jahren habe ich einen Instagram Kanal erstellt und ein paar Gitarren Videos hochgeladen. Dann kam eine Band auf mich zu: GRAVEYARD WITCH, die hatten ´nen Plattendeal mit dem Bassisten von TESLA, der gleichzeitig auch als Produzent arbeitet. Die haben mich dann gefragt, ob ich etwas einspielen könnte, weil ihr damaliger Gitarrist abgesprungen ist. Die haben mir dann ein paar Demos geschickt und ich habe dazu die Soli komponiert. Dann bin ich da einfach hingegangen und hab´ mich überraschen lassen, was passiert...

Moment – du bist da ja nicht einfach mal hingegangen! Du hast dich in den Flieger gesetzt und bist mal eben über den großen Teich in die USA gejettet – für ein paar Takes...

THOMY GUNN: (Lacht). Ja, das stimmt. Über den Weg dahin habe ich mir eigentlich keine Gedanken gemacht. Es war schon immer mein Traum, in die USA zu gehen, zumal auch die ganzen Idole von dort kommen. Da hab´ ich halt nicht lange gezögert und sofort zugesagt, dass ich kommen werde.

Die habe dich also eingeladen, haben alles bezahlt, nur um THOMY GUNN bei sich im Studio zu haben?

THOMY GUNN: Ja, genau.

Nicht schlecht! Was ist dann passiert?

THOMY GUNN: Eigentlich war das Studio für zwei Tage gebucht. Ich hatte, wie gesagt, die Demos, zu denen ich die Soli fertig hatte. Das Solo für den ersten Track hatten wir in etwa zwanzig Minuten im Kasten. Alles lief perfekt. Beim zweiten Song hab´ ich mich dann allerdings erschreckt, denn der war plötzlich einen Halbton tiefer...(lacht), weil der Sänger nicht so hoch kam...



 

Das war doch „worst case“, immerhin hattest du das Solo fertig. Wie bist du da rausgekommen?

THOMY GUNN: Ja, der Produzent hatte sich schon damit abgefunden, dass ich die Gitarre nun auf E flat herunter stimmen müsste, also kein E Standard, sondern E flat. Das hätte bedeutet, die Saiten wechseln zu müssen, die normalen Saiten sind ansonsten zu locker. Aber für mich war das nicht so das Problem, weil ich während meiner Proben immer mal wieder aus Spaß verschiedene Passagen einfach der Übung halber in anderen Tonarten spiele. Natürlich habe ich ein paar Minuten gebraucht um mich umzustellen, aber danach lief alles wie von selbst. Von den zwei Tagen, für die das Studio gebucht war, haben wir dann nur etwas mehr als zwei Stunden gebraucht.


Hast Du Infos darüber, wann die neue Scheibe von GRAVEYARD WITCH herauskommen wird?

THOMY GUNN: Sehr wahrscheinlich Anfang 2022. Eigentlich sollte ich nochmal in die USA fliegen, aber die Corona Situation hat das nicht erlaubt. Aber diese beiden Songs werden mit mir zu hören sein.

Lass uns ein wenig über eine ganz spezielle Gitarre reden, die du dir damals gekauft hast...

THOMY GUNN: Das ist die Signature Gitarre von JASON BECKER, der mein absoluter Hero ist, wenn es um das Spiel aber auch das Kompositorische geht. Damals war das Teil noch nicht in Produktion und die Herstellerfirma hat mir einen Prototyp gebaut. Mittlerweile kann man die Gitarre offiziell als JASON BECKER Signature Modell kaufen. Interessierte Gitarristen können Jason so ein wenig unterstützen, der seit 1996 unter ALS leidet, mittlerweile vollständig gelähmt ist und nur noch mit seinen Augen kommunizieren kann.

Wie sehen deine kurzfristigen und längerfristigen Pläne aus?

THOMY GUNN: In erster Linie will ich mich als Musiker weiter entwickeln, alle Facetten ausloten. Man findet immer wieder neue Sachen, man muss immer am Ball bleiben. Wer sich nicht weiter entwickelt, bleibt in seiner Entwicklung stehen und das will ich auf jeden Fall vermeiden. Klar würde ich gerne wieder Konzerte spielen, auch um meine Musik den Leuten persönlich näherbringen zu können. Ich hoffe, ich kann so einige Menschen für meine Musik gewinnen. Das geht Live wesentlich besser.

THOMY, vielen Dank für dieses Gespräch!

THOMY GUNN: Es war mir ein Vergnügen, Stefan!



Stefan Haarmann - Stellv. Chefredakteur (Info)